Ostfildern, 20 Minuten vom Ballungszentrum Stuttgart entfernt. Auf den ersten Blick sieht die Belchenstraße im Ortsteil Ruit so aus wie viele andere Wohnstraßen in Deutschland. Die Einfamilienhäuser und Grundstücke sind weder besonders groß noch besonders klein, die Architektur ist wenig auffällig, die Autos sind ordentlich geparkt. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich Überraschendes: Auf 100 Metern Straßenlänge sind fünf von acht Fahrzeugen Elektroautos, und an dem kleinen Wendehammer sind zwei Ladestationen installiert. Tatsächlich hat sich die unscheinbar wirkende Belchenstraße in den vergangenen Monaten zur „E-Mobilitätsallee“ entwickelt.
Wie wirkt sich die Elektromobilität auf das Stromnetz aus?
Seit Juni 2018 testet die Netze BW in Kooperation mit der Stadt Ostfildern hier in einem Pilotprojekt, wie sich die Elektromobilität auf das Stromnetz auswirkt. Was es also heißt, wenn viele Anwohner an ein und derselben Straße, die über den gleichen Stromkreis mit Energie versorgt wird, auf einmal auf Elektrofahrzeuge umsteigen. Und wie der Einsatz von Batteriespeichern bei Bedarf die Netzstabilität erhöhen kann.
Um das herauszufinden und Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie sich das Ladeverhalten kundenfreundlich und zugleich netzneutral steuern lässt, hat die Netze BW zehn Haushalte in der Belchenstraße für einen Zeitraum von 12 Monaten mit E-Autos und der entsprechenden Ladeinfrastruktur für zu Hause ausgestattet. Der Aufwand für den Feldversuch lohnt sich. Schließlich gilt es, die Stromnetze insgesamt fit zu machen für das Zeitalter der Elektromobilität.
Der Standort für das Modellprojekt ist gut gewählt. Die teilnehmenden Haushalte repräsentieren ein typisches Wohngebiet mit Eigenheimen, wie es in Ballungsräumen häufig zu finden ist. Also dort, wo künftig aller Voraussicht nach die meisten Elektroautos unterwegs sein werden. Zudem stimmt die Mischung: In der Belchenstraße wohnen Familien mit Kindern ebenso wie junge Paare und Rentner. Menschen mit unterschiedlichem Lebensstil und unterschiedlichem Nutzungsverhalten.
Einer der Anwohner und Projektteilnehmer ist Norbert Frank, selbstständig, Familienvater. „Ich war neugierig darauf, ein Elektrofahrzeug mal über eine längere Zeit im Alltag testen zu können“, erklärt er seine Motivation. „Wir haben zwar schon zwei Autos, dachten aber, dass es eine sinnvolle Ergänzung sei, vor allem für Strecken bis 40, 50 Kilometer. Das sind die Entfernungen, die vor allem meine Frau täglich zurücklegt. In erster Linie nutzt sie den E-Golf, den uns die Netze BW zur Verfügung gestellt hat.“ Die bisherigen Erfahrungen? „Durchweg positiv“, sagt Frank. „Es funktioniert alles, das Fahren, das Laden, und von irgendwelchen Engpässen im Stromnetz haben wir auch nichts gemerkt.“
Allerdings hat der E-Mobilitäts-Tester in der kalten Jahreszeit einen deutlich höheren Stromverbrauch des Autos festgestellt. „Im Winter kommen wir mit derselben Ladeleistung nur halb so weit wie im Sommer“, berichtet Frank. „Wenn wir den Wagen jetzt morgens vom Stecker nehmen, zeigt er eine Reichweite von 246 Kilometern an. Wenn meine Frau dann nach Reutlingen und zurück fährt, das sind etwa 75 Kilometer, stehen nur noch 92 Kilometer auf der Uhr. Im Sommer waren es noch 150, 160. Im Winter ist also tägliches Laden angesagt.“ Hauptverursacher des höheren Energieverbrauchs ist die Heizung im Auto, die bei niedrigen Temperaturen viel Energie benötigt.
Aber auch das tägliche Laden gestaltet sich für das Ehepaar Frank unkompliziert. In der Garage ist eine kompakte rechteckige Ladestation an der Wand befestigt, die wenig Platz beansprucht: eine sogenannte Wallbox. Hier wird das E-Auto mit Strom „betankt“, in aller Regel abends oder über Nacht. „Wir laden üblicherweise abends zwischen 19 Uhr und 22 Uhr oder nachts zwischen 22 Uhr und 6 Uhr“, erläutert Frank.
Bis die Batterien des E-Golf wieder voll sind, dauert es 3 bis 5 Stunden. „Manchmal aber auch länger, je nach Belastung des Stromnetzes“, sagt Christian Bott, der bei der Netze BW das Pilotprojekt in der Belchenstraße betreut. „Es geht darum, Lastspitzen zu minimieren und das Potenzial des Stromnetzes maximal auszuschöpfen.“ Wenn also zur selben Zeit viele E-Mobilisten in der Belchenstraße ihr Fahrzeug laden, wird die Ladeleistung zeitweise von 22 Kilowatt auf beispielsweise 11 Kilowatt heruntergedrosselt, und die Ladezeit verlängert sich entsprechend. Bei diesem „intelligenten Lademanagement“ werden der jeweilige Ladestand und die voraussichtliche Abfahrtszeit des E-Autos berücksichtigt. „Das wird automatisch über Nacht gesteuert, sodass die Nutzer gar nicht bemerken, ob ihr Auto nun 3, 5 oder 8 Stunden am Netz hing."
Die zehn teilnehmenden Haushalte repräsentieren ein typisches Wohngebiet mit Eigenheimen, wie es häufig in Ballungsräumen vorkommt.
Die Anwohner der E-Mobility-Allee sind bunt gemischt – vom Vielfahrer bis zum Gelegenheitsfahrer, von der Familie mit Kindern über junge Paare bis hin zu Rentnern.
Die Netze BW stellt allen Teilnehmern eine Wallbox mit einer möglichen Ladeleistung von bis zu 22 kW zur Verfügung, damit sie ihr E-Auto zu Hause laden können. Weitere Lademöglichkeiten gibt es an den öffentlichen Parkbuchten.
Es ist nicht zuletzt das komfortable Laden zu Hause, weshalb Norbert Frank geneigt ist, auch nach Ende des Testprojekts ein E-Auto zu nutzen. „Für Kurzstrecken auf jeden Fall, da kann ich nur jedem ein E-Fahrzeug empfehlen.“ Bei langen Strecken liegt der Fall anders. „Ich fahre geschäftlich auch häufig nach Frankfurt oder Köln, und das klappt mit einem E-Auto noch nicht reibungslos. Hier müssen die Infrastruktur und die Ladekapazität noch wachsen.“ Norbert Simianer, der Nachbar von schräg gegenüber, sieht die Sache ähnlich. „Im Nahbereich funktioniert die Elektromobilität einwandfrei, bei längeren Strecken muss man alles sehr gut im Voraus planen“, sagt der Pensionär, der bei den Anwohnern der Belchenstraße dafür geworben hat, an dem Pilotprojekt der Netze BW teilzunehmen. „Ich fahre ja schon seit einiger Zeit ein Hybridauto. Jetzt wollte ich wissen, wie es ist, rein elektrisch unterwegs zu sein.“ Als Testfahrzeug nutzt Simianer einen Renault Zoe. Sein Fazit: „Der Zoe ist sehr alltagstauglich. Ich nutze das Auto so wie mein eigenes.“
Und deshalb hat der ehemalige Schulrektor mit dem E-Mobil auch schon längere Reisen unternommen. „Wir waren damit bereits am Bodensee, in der Schweiz. Da muss man zwar schon mal nach der passenden Ladestation suchen, weil jeder Anbieter ein eigenes System hat, aber auch das lässt sich bewältigen.“ Liegen geblieben ist er jedenfalls nicht. Um Norbert Simianer zu Hause stets ein zuverlässiges Laden zu ermöglichen, hat die Netze BW in seiner Garage neben der Wallbox zusätzlich einen Batteriespeicher eingerichtet. „Hier waren einige Besonderheiten zu berücksichtigen“, erläutert Netze BW-Experte Bott. „Herr Simianer wohnt elektrisch gesehen am Kabelende des Stromnetzes in der Belchenstraße. Zugleich fährt er ein E-Auto, das mit 22 Kilowatt eine hohe Ladeleistung zieht. Um das Netz bei diesen Gegebenheiten zu entlasten, laden wir den Zoe aus einem separaten Batteriespeicher.“ Und der wiederum wird zu Tageszeiten gefüllt, zu denen kein Elektroauto am Stromnetz hängt. Dieses feine Austarieren erfolgt geräuschlos und vom Kunden unbemerkt im Hintergrund.
Kein Wunder, dass die E-Pioniere Frank und Simianer weniger an die Stromversorger und Netzbetreiber denken, wenn sie die Herausforderungen beschreiben, die es zu überwinden gilt, bis die Elektromobilität den endgültigen Durchbruch geschafft hat. „Die Autoindustrie ist auch gefordert“, sagt der Unternehmer Frank. „Die Auswahl an E-Fahrzeugen mit ordentlichen Reichweiten ist ja noch sehr begrenzt.“ Auf langen Strecken wünscht sich der Vielfahrer zudem noch mehr Lademöglichkeiten und vor allem kürzere Ladezeiten. „Wenn es an einer Raststätte über 1 Stunde dauert, bis mein Auto mit Strom betankt ist, muss ich eine Menge Kaffee trinken.“ „Vor allem brauchen wir einheitliche Standards für die gesamte Ladeinfrastruktur“, ergänzt Simianer. „Es gibt ja niemanden, der 20 verschiedene Adapter dabeihat, wenn er sich auf die Reise macht.“ Und noch etwas möchte der E-Pionier loswerden, bevor er für den nächsten (Kurz-)Trip in seinen Zoe steigt: „Der Strom für die Elektroautos sollte natürlich möglichst grün erzeugt sein. Aber da bietet die EnBW ja schon den richtigen Mix an.“
Interview mit Monika Bader, Baubürgermeisterin von Ostfildern
Die Elektromobilität ist ein wesentlicher Baustein unseres neuen Mobilitätskonzepts, das wir derzeit erarbeiten. Es geht darum, sämtliche Mobilitätsarten – im Individualverkehr wie im öffentlichen Nahverkehr – intelligent miteinander zu verknüpfen.
Zunächst einmal sorgt das Projekt dafür, dass die Akzeptanz und die Begeisterung für die Elektromobilität in der Bevölkerung weiter steigen. Die Menschen erkennen, dass die Technologie funktioniert. Sie verstehen aber auch immer besser, was es dazu alles braucht, etwa Ladestationen und zusätzliche Stromspeicher, und dass man seine Fahrten vielleicht etwas besser planen sollte als bisher.
Ja, und das ist eine echte Herausforderung, denn die Flächen sind ja begrenzt. Im öffentlichen Raum gibt es eigentlich keine zusätzlichen Flächen mehr. Besonders in den bestehenden Quartieren sind die Möglichkeiten sehr eingeschränkt.
Spezifische Mobilitätskonzepte werden bereits mit den ersten stadtplanerischen Entwicklungen, also schon in den Auslobungen der Wettbewerbe, berücksichtigt. Wir denken die künftigen Anforderungen – unter anderem an zentrale intermodale Knotenpunkte und Parkleitsysteme – direkt mit und berücksichtigen auch den nötigen Platz für Ladesäulen ebenso wie für externe Stromspeicher und Trafostationen. Denn, auch das zeigen ja die Erfahrungen aus der Belchenstraße: Die Elektromobilität braucht ein sehr leistungsfähiges Stromnetz.
Richtig. Im Zuge der Digitalisierung müssen viel mehr Rechner mit Strom versorgt werden. Bei einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung müssen wir zudem berücksichtigen, dass Wohnen und Arbeiten viel näher zusammenrücken. Dafür gilt es, die entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Das heißt: So wie wir über den Breitbandausbau diskutieren, müssen wir stets auch über den Ausbau des Stromnetzes sprechen.
Die Unternehmen sollten ein leistungsfähiges Stromnetz mit einem sehr hohen Anteil regenerativ erzeugter Energie zur Verfügung stellen. Ein Netz, das die hohen Anforderungen der Elektromobilität und Digitalisierung jederzeit verlässlich erfüllt. Die EnBW und die Netze BW sind hier, auch durch die Forschungsprojekte mit uns als Kommune, auf einem guten Weg.
Die Begeisterung für die Elektromobilität steigt.