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Wenn bei Anlässen wie der diesjährigen UN-Klimakonferenz COP27 ehrgeizigere CO₂-Ziele, weniger Emissionen und mehr Klimagerechtigkeit gefordert werden, fällt es uns leicht, zuzustimmen. Wie aber sieht es mit unserem eigenen Verhalten aus? Warum handeln wir im Alltag so häufig klimaschädlich? Thomas Brudermann, promovierter Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz, hat darauf eine Antwort gefunden. In seinem Buch „Die Kunst der Ausrede“ gibt er Einblick in die menschliche Psyche. Ein Gespräch über die Macht der Gewohnheit, den Menschentypus Homo YOLO und die schöpferische Kraft von Humor.

Dürre, Überschwemmungen, Gletscherschmelze: Die Folgen des menschgemachten Klimawandels sind längst da – warum fällt es uns dennoch so schwer, auf den Urlaubsflug oder den Grillteller zu verzichten?

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Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Zum einen nehmen wir den Klimawandel als etwas sehr Abstraktes wahr. Gehen wir an einem sommerwarmen Oktobertag im T-Shirt vor die Tür, freuen wir uns über schönes Wetter, erfassen aber nicht das große Ganze. Das macht es uns leicht, eine psychologische Distanz zwischen dem Klimawandel und dem, was wir tun, herzustellen. Zum anderen sind unsere Handlungen immer stark eingebettet in Gewohnheiten. Der Urlaubsflug, das Auto, das Rindersteak sind für viele etwas Normales, eine soziale Praktik, die oft auch eine kulturelle Komponente hat. Daher kommen wir von diesen Dingen schwer los.

Sie verwenden in Ihrem Buch die Begriffsschöpfung „Homo YOLO“. Was verbirgt sich dahinter?

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Es gibt viele Modelle, um menschliches Handeln zu erklären. Zum Beispiel den Homo oeconomicus, der stets rational handelt und danach strebt, seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Mit dem Homo YOLO beschreibe ich einen Typ Menschen, der nach dem Motto „You only live once“ lebt. Er versucht, sein Leben so gut wie möglich zu genießen, egal welche Folgen das mit sich bringt. Dieses Phänomen gibt es zwar schon lange, durch Social Media ist es aber omnipräsent geworden. Nicht verwunderlich, dass unter #YOLO viele Fotos von Fernreisen, Luxusresorts oder Statussymbolen zu finden sind.

Was ist nachhaltiges Handeln?

Das Ökosystem Erde ist nur begrenzt belastbar. Um auch in Zukunft gut leben zu können, müssen die Menschen nachhaltig handeln. Dazu gehört ein bewusstes Ernährungs-, Konsum- und Mobilitätsverhalten genauso wie der sorgsame Umgang mit Ressourcen und Energie. Ziel ist es, auch für nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu erhalten. Das erreichen wir zum Beispiel durch das Prinzip „Verschenken, Tauschen und Teilen“, die Fortbewegung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weniger Flugreisen sowie den Verzicht auf tierische Lebensmittel.

Die menschliche Psyche scheint meisterhaft darin zu sein, Ausreden für das eigene Verhalten zu finden. Was sind die gängigsten, wenn es um Klimaschutz geht

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In meinem Buch beschreibe ich insgesamt 25 Typen von Ausreden für klimaschädliches Verhalten. Sie basieren alle auf typischen Phänomenen des menschlichen Verstands wie etwa begrenzte Rationalität oder Wahrnehmungsverzerrungen. Welche Ausrede wir vorschieben, hängt stark von der eigenen Gruppenzugehörigkeit ab. Umweltfreundlich eingestellte Menschen neigen zum Beispiel zum moralischen Lizensieren. Sie erlauben sich den Flug in den Urlaub, weil sie ja bereits Strom sparen, ein E-Bike fahren und sich weitgehend vegetarisch ernähren. Diese guten Taten – und es sind ja wirklich welche – dienen dann als Ausrede für die weniger klimafreundlichen. Wer genau nachdenkt und nachrechnet, kommt schnell darauf, dass das so nicht aufgeht. Aber gefühlsmäßig geht es eben doch. Eine gute Tat für eine nicht so gute… und unser Gewissen ist wieder beruhigt.

Cartoons fürs Klima: Witzige Illustrationen und Grafiken von Annechien Hoeben erleichtern in Thomas Brudermanns Buch den Zugang zum Thema Nachhaltigkeit.

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Interview Brudermann Ausrede 3 Bild 1
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Interview Brudermann Ausrede 3 Bild 2
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Interview Brudermann Ausrede 3 Bild 3

Welche Ausrede nutzen denn die weniger Klimabewussten unter uns?

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Im Grunde genommen wünschen wir uns alle gute Luft, intakte Wälder, saubere Flüsse und funktionierende Ökosysteme. Ich persönlich kenne auch niemanden, der sich sehnlichst eine Klimakatastrophe herbeiwünscht. Wer sich weniger mit der Thematik beschäftigt, argumentiert in der Regel gerne mit der geringen Selbstwirksamkeit. „Was soll ich allein, was können wir in Deutschland schon erreichen, wenn andere doch viel mehr CO₂ produzieren…“. Menschen, die das Gefühl haben, mit ihrem eigenen Beitrag nichts erreichen zu können, sind selten zu Verhaltensänderungen bereit.

Capybaras, auch Wasserschweine genannt, sind so ziemlich die freundlichsten Tiere, die man sich vorstellen kann. In dem Buch „Die Kunst der Ausrede“ machen sie sich Gedanken zur Klimakrise – und decken dabei die eine oder andere menschliche Schwäche auf.

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Interview Brudermann Ausrede 18 Bild 1
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Interview Brudermann Ausrede 18 Bild 2

Wie schaffe ich es denn nun am besten, meinen inneren Schweinehund in Sachen Klimaschutz zu überlisten?

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Besonders wirksam ist es, sich selbst Rahmenbedingungen zu schaffen, die es einfach machen, klimafreundlich zu sein. Unser bequemes Gehirn sucht immer nach Wegen, um aufwendige Prozesse zu vermeiden. Ein praktischer Vorschlag wäre da zum Beispiel, das Fahrrad immer so zu parken, dass man es erst zur Seite stellen muss, um ans Auto zu kommen. Zudem ist für uns die soziale Komponente extrem wichtig: Wenn wir etwas gemeinsam angehen, fällt es uns leichter. Warum also nicht einen gemeinsamen veganen Kochabend veranstalten, statt zum Grillen einzuladen.

Schwierigkeitsgrad und Wirksamkeit verschiedener klimafreundlicher Entscheidungen in einer groben schematischen Darstellung. Die Wirksamkeit bestimmter Verhaltensänderungen hängt von vielen Details ab. Als wie schwierig diese empfunden werden, ist individuell unterschiedlich.

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Garfische Darstellung Schwierigkeitsgrad und Wirksamkeit verschiedener klimafreundlicher Entscheidungen

Sie schreiben, dass für nachhaltiges Handeln des Einzelnen die äußeren Rahmenbedingungen stimmen müssen. Wen sehen Sie da in der Pflicht?

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Die Verantwortung allein auf die Bürger*innen oder Konsument*innen abzuschieben, ist zu einfach. Auch politische Entscheidungsträger*innen, Interessensvertretungen und nicht zuletzt Unternehmen stehen in der Pflicht, die entsprechenden Voraussetzungen, also Strukturen für ein klimafreundliches Leben, zu schaffen.

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Zur Person

Thomas Brudermann ist promovierter Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz. Neben seinem Buch 'Die Kunst der Ausrede' verfasste er als Autor und Co-Autor zahlreiche Beiträge in internationalen Fachzeitschriften und Büchern.

Wie könnte das bei Unternehmen der Energiebranche aussehen?

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Unternehmen haben eine große Hebelwirkung auf Konsumentscheidungen. Wenn die Energiebranche beispielsweise Grünstrompakete als Standard anbietet, dann entscheiden sich mehr Menschen dafür, als wenn sie ein solches Angebot extra auswählen müssten. Dazu fällt mir auch eine amerikanische Feldstudie ein, in der untersucht wurde, ob sich mit der Kommunikation von Normen der Stromverbrauch von Haushalten senken lässt. Die Haushalte in der Studienregion bekamen Feedback zu ihrem Stromverbrauch im vorangegangenen Monat. Ein Teil der Haushalte erhielt neben Details zum eigenen Stromverbrauch auch die Information, wie ihr Verbrauch im Vergleich zu den anderen Haushalten aussah. Diese Intervention zeigte tatsächlich Wirkung, vor allem als das jeweilige Ergebnis mit einem lachenden oder weinenden Smiley ergänzt wurde.

Stichwort lachender Smiley: Statt mit erhobenem Zeigefinger gehen Sie die Aufklärung mit unterhaltsamen Anekdoten und Cartoons an. Was kann Humor bei einem ernsten Thema bewirken?

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Der Klimawandel stellt für uns eine unfassbar große Herausforderung, ja Existenzbedrohung dar. Das überfordert uns kognitiv, löst Angst, Hilflosigkeit und Verdrängung aus. Negative Emotionen bringen uns aber nicht zu den kreativen und innovativen Lösungen, die wir benötigen, um die Herausforderung anzugehen. Humor hingegen öffnet Perspektiven.

Mit Fakten gegen faule Ausreden

Eine Tonne CO₂-Äquivalente entsteht bei ...

  • ... einem Hin- und Rückflug Berlin – Kreta für eine Person in einem normalen Passagierflugzeug.
  • ... ca. 4.000 Kilometer Fahrt mit einem durchschnittlichen Auto (Verbrennungsmotor).
  • ... 4 bis 7 Jahren moderatem Rindfleischkonsum (ca. 1 Kilogramm pro Monat).
  • ... 5 bis 7 Jahren durchschnittlichem Käsekonsum (130 bis 170 Kilogramm).
  • ... 3 bis 4 Tagen auf einem Kreuzfahrtschiff.
  • ... weniger als einer Handvoll Transfers mit der Kryptowährung Bitcoin.
  • ... 2 Millionen Klicks im Internet.
  • ... 1,5 Jahren moderaten Kleiderkäufen.
Zum Vergleich

Eine Tonne CO₂ entspricht etwa dem Volumen eines Würfels mit acht Metern Kantenlänge. Eine Buche muss 80 Jahre lang wachsen, um eine Tonne CO₂ wieder zu binden.

Zur Erklärung

CO₂-Äquivalente ist eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase.

Quelle: Die Kunst der Ausrede, Thomas Brudermann

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