Immobilienwirtschaft und soziale Vielfalt
Expert*innen diskutierten, wie es möglich sein kann, die Anforderungen der Immobilienwirtschaft und des Gemeinwohls am neuen Stöckach in einem erfolgreichen Modell zu vereinen.
Drei Zimmer, Küche, Bad: Noch immer entspricht eine solche Wohnung dem Standard auf dem deutschen Immobilienmarkt. Der demografische Wandel, die steigende Anzahl an Singlehaushalten und auch Faktoren wie der Klimawandel und eine veränderte Arbeitswelt machen jedoch gerade in den Städten neue Wohnformen notwendig. Diese müssen trotz steigender Rohstoffpreise bezahlbar sein – und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Im virtuellen Thementalk „Immobilienwirtschaft und soziale Vielfalt – ein Widerspruch?“ diskutierten Expert*innen, wie es gerade am neuen Stöckach möglich sein kann, die Anforderungen der Immobilienwirtschaft und des Gemeinwohls in einem erfolgreichen Modell zu vereinen.
Die Stadtplanerin Birgit Kasper arbeitet seit vielen Jahren in den Bereichen Stadtforschung und innovative Wohnformen und weiß, wie wichtig es ist, die Bevölkerung mitzunehmen. „Das Wohnen der Zukunft muss in Quartieren gedacht werden und nicht mehr länger nur in einzelnen Häusern.“ So seien funktional gemischte Strukturen in einem Areal besonders wichtig, zudem müsse sich die Vielfalt der unterschiedlichen Bewohner*innen auch in der Vielfalt der Wohnformen abzeichnen. Der Immobilienexperte Mario Caroli sieht dies ähnlich. „Viel zu lange wurde standardmäßig ein Mehrfamilienhaus nach dem anderen immer nach dem gleichen Muster gebaut. Die Zukunft jedoch sieht anders aus.“ Um den Erfolg eines Quartiers langfristig zu sichern, müsse von Beginn an Wert auf die soziale Durchmischung gelegt werden. „Hier ist der Stöckach auf einem sehr guten Weg“, so Caroli.
Ein großer Mix an Wohnformen
Mehr als bisher müsse man bei der Planung von unterschiedlichen Biografien der Bewohner*innen ausgehen. Dieser Aspekt wurde nach Ansicht des Immobilienexperten in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt. So bringen verschiedene Umbrüche im Leben wie beispielsweise eine Trennung, der Auszug der Kinder oder das Alter neue Wohnanforderungen mit sich, auf die der Markt – auch aufgrund der Wohnungsknappheit – kaum reagieren kann. Alleine in Stuttgart fehlen rund. 24.000 Wohnungen, Tendenz weiter steigend. „Oftmals passt die eigene Wohnung gar nicht mehr zur aktuellen Lebensform, aber aufgrund fehlender Angebote bleibt man eben dort wohnen“, so Birgit Kasper. Diese Problematik zeigt: Eine funktionierende Stadtgesellschaft braucht einen großen Mix an Wohnraum. Auch innerhalb eines Quartiers mit all seiner Vielfalt sollten Räume definiert sein, die auf bestimmte Bedarfe zugeschnitten sind. Familien fühlen sich mitunter in der Nähe der Kita und dem Spielplatz eher wohl, während andere Bewohner*innen einen ruhigeren Ort im Quartier bevorzugen.
Sozial geförderter Wohnraum für den neuen Stöckach
Die EnBW strebt am Stöckach einen hohen Wohnungsmix für alle Schichten und Altersgruppen an. Die meisten der 800 Wohnungen sollen vermietet werden und langfristig in öffentlicher Hand bleiben. Rund zehn Prozent der Einheiten sind als Eigentumswohnungen vorgesehen. „Um die soziale Durchmischung nachhaltig zu fördern, werden wir einen Anteil von rund 40 Prozent gefördertem Wohnbau und damit bezahlbares Wohnen anbieten können. Das ist beachtlich“, so Poralla. Und weiter: „Bei diesen Wohnungen ist allerdings ganz genau vorgegeben, wie groß diese jeweils sein müssen. Viele Gestaltungsmöglichkeiten, beispielsweise bei den Grundrissen, gibt es da nicht – hier würde ich mir seitens der Politik und deren Vorgaben eine größere Flexibilität wünschen.“
Partizipation als Erfolgsfaktor
Um noch mehr auf die echten Bedürfnisse einzugehen, schlägt Birgit Kasper vor, einzelne Gebäudeteile für Baugruppen zur Verfügung zu stellen. Ein geeignetes Mittel hierbei könnten Konzeptverfahren sein. Mit diesem wird der Zuschlag für ein Bauteil nicht der höchstbietenden Partei, sondern der Gruppe mit dem besten Nutzungskonzept erteilt. „Je mehr Gruppen vor Ort mitgestalten können, desto höher ist auch die Akzeptanz“, so die Stadtplanerin, die die intensive Partizipation am neuen Stöckach als wichtigen Baustein für die künftige Akzeptanz des Areals sieht. Carsten Poralla von der EnBW kann sich einen solchen Verfahrensansatz gerade für seniorengerechte Wohnformen mit Mietgruppen vorstellen: „Hier könnten wir gemeinsam mit Partner*innen Konzepte entwickeln, die maßgeschneiderte Lösungen für die Zielgruppe bietet.“