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Herr Stein, Strom und Gas zu verkaufen ist doch ein gutes Geschäftsmodell. Warum braucht ein Energieunternehmen Innovationen?

Stein: Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie ist die EnBW 2012 in eine schwierige Lage geraten. Ein wichtiges Geschäftsmodell ist mehr oder weniger über Nacht weggebrochen. Wir kompensieren das durch konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien. Eine gut gefüllte Pipeline an neuen Geschäftsideen ist zusätzlich wichtig, um für derartige Risiken gerüstet zu sein und sich an verändernde Marktbedingungen anzupassen.

Innovationen dienen aber nicht nur der Risikoabwehr, sondern bieten uns neue Chancen. Der Energiemarkt hat sich brutal verändert. Vor 10 Jahren war er sehr einfach organisiert: Es gab einen großen Energieerzeuger auf der einen Seite und eine Menge an Abnehmern auf der anderen. Heute erzeugt der Eigenheimbesitzer selbst Strom auf dem Dach, speichert oder speist ihn ins Netz ein, die Kommunen besitzen eigene Anlagen, jeder kann selbst Energie erzeugen. In den Netzen, die früher Einbahnstraßen zum Kunden waren, herrscht Gegenverkehr. Energie wird zunehmend dezentral erzeugt. Gleichzeitig sind viele neue digitale Techniken entstanden, die wir uns nicht haben vorstellen können. Das eröffnet enorme Möglichkeiten, neue Lösungen, neue Produkte, neue Märkte.

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Sie sind Innovationsmanager. Warum muss man Innovationen managen?

Stein: Innovationen können zufällig passieren, das ist allerdings sehr selten der Fall. Auch wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Konzernabteilungen viele Ideen haben, ihre Bereiche zu verbessern und neue Produkte für Kunden entwerfen – strategisch relevante Innovationen brauchen ein systematisches Innovationsmanagement. Unsere Aufgabe ist es, sie zielgerichtet anzustoßen und daraus Geschäftsmodelle zu bauen. Dabei glauben wir, dass es erfolgsversprechender ist, damit extern am Markt zu starten, also Starts-ups zu gründen, die als eigenständige rechtliche Einheiten Geld verdienen wollen.

Am Anfang steht nicht die Idee, sondern das Problem, das der Kunde hat.

Jürgen Stein

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Wie macht man aus einer Idee ein Produkt und ein erfolgreiches Geschäftsmodell? Worauf kommt es dabei an?

Stein: Am Anfang steht nicht „die Idee“, von der so viel die Rede ist. Am Anfang steht das Problem, das der Kunde hat. Das muss man erkennen. Die zentralen Fragen, die uns leiten sind: Finden wir für das Problem eine Lösung und dafür ein Produkt? Lässt sich aus dem Produkt ein Geschäftsmodell entwickeln, das sich trägt? Wer diese Fragen immer und immer wieder positiv beantworten kann, ist auf dem richtigen Weg.

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In welchen Bereichen finden Ihre Innovationen statt?

Stein: Wir haben uns auf energienahe Innovationsfelder fokussiert und auf solche jenseits des klassischen Energiegeschäfts. Nah am traditionellen Energiegeschäft sind Themen rund ums intelligente Netz, digitales Energiemanagement und Handel sowie die Verknüpfung des Wohnens mit intelligenten Services. Bei der zweiten Schiene, jenseits der klassischen Geschäftsfelder eines Energieversorgers, konzentrieren wir uns auf urbane Infrastruktur mit Quartiersentwicklung, Mobilitätslösungen über die Elektroladeinfrastruktur hinaus und auf Telekommunikation und Data Solution.

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Welche Rolle spielen die Geschäftsmodelle, die Sie initiieren, für den Konzern?

Seit 2020 leitet Jürgen Stein das Innovationsmanagement der EnBW. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er neue Geschäftsmodelle für den Konzern.

Stein: Neugeschäft zu entwickeln ist Ziel der Konzernstrategie. Bis 2030 soll das Innovationsgeschäft einen nennenswerten Beitrag zum Ertrag des Konzerns erwirtschaften. Wir sprechen von 100 Millionen zum EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.). Die Konzernstrategie gibt uns die inhaltlichen Leitplanken vor. Unsere Innovationsbereiche sind definiert, aber nicht in Stein gemeißelt. Vom Vorstand haben wir den expliziten Auftrag, auch Themen zu bearbeiten, die der Konzern zurzeit selbst noch nicht sieht. 20 Prozent des Budgets können wir für Themen ausgeben, die nicht oder noch nicht in der Konzernstrategie erfasst sind. Das ist die Freiheit, die wir brauchen.

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Wie gehen Sie vor, um die Innovationspipeline zu füllen?

Stein: Man muss den richtigen Raum schaffen, die richtigen Leute finden und geeignete Prozesse etablieren. 2014 haben wir tatsächlich ein eigenes Gebäude bezogen – den EnBW-Innovationscampus, später sind weitere Räumlichkeiten hinzugekommen. Es sind Räume fern vom Konzernsitz. Damit wurde unterstrichen – und das ist das Wesentliche – dass für die Entwicklung von Start-ups eine andere Governance, also Strukturen und Regeln, herrscht. Start-ups brauchen andere Freiheitsgrade und Handlungsspielräume als innerhalb eines Konzernrahmens möglich sind.

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Wer sind die „richtigen Leute“? Welche Eigenschaften muss man mitbringen, um erfolgreich ein neues Geschäft aufzuziehen?

Stein: Menschen, die mit einem innovativen Geschäftsmodell an den Markt wollen, sind schon ein ganz besonderer Menschenschlag. Sie brauchen andere Fähigkeiten als der typische Konzernmanager. Neben der vielzitierten „unternehmerischen Denke“ müssen Gründer unbedingt Resilienz gegenüber Unklarheiten und Unsicherheiten mitbringen. Sie müssen nicht nur mit dem Durcheinander klarkommen, das vor allem in den Anfangsphasen herrscht, sondern sich sogar darin wohlfühlen. Für jemand, der lieber in geordneten Bahnen arbeitet, ist das nichts. Mut gehört in jedem Fall dazu und der Wille zur Perfektion. Bei jedem Schritt muss man sich hinterfragen, ob man auf dem richtigen Weg ist, ob es nicht noch besser, noch perfekter geht. Gründer brauchen Ausdauer und sind regelrechte „Wider-Aufstehmännchen“, die Rückschläge wegstecken können.

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Könnten Sie ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Stein: Unser erstes Start-up, Smight, hat sich viermal um die eigene Achse gedreht, die ursprüngliche Idee weitergetrieben und sich neu erfunden. Smight ist ursprünglich an den Markt gegangen als Hardware-Hersteller für multifunktionale Straßenlaternen mit WLAN, Notrufknopf und Elektroladepunkt. Heute sind wir im Big-Data-Geschäft für intelligente Stromnetze angekommen. Eine erste Idee, in die man Herzblut und enorm viel Arbeit gesteckt hat, über Bord zu werfen – das erfordert Mut und den unbedingten Willen zum Erfolg am Markt.

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Die Entwicklung von Geschäftsmodellen durchläuft klar definierte Phasen. Was ist dabei entscheidend?

SMIGHT ist mit der Idee einer multifunktionalen Straßenlaterne gestartet. Heute digitalisiert das EnBW-Start-up mit dem „Grid-Sensor“ das Verteilnetz.

Stein: Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, immer wieder zu überprüfen, ob man auf dem richtigen Weg ist. In jeder Phase. Finden wir eine Lösung für das Problem und finden wir für die Lösung ein Produkt und gelingt es uns, daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell zu machen? Diesen Prozess durchlaufen wir immer wieder. Das ist der Sinn des systematischen Prozesses, mit dem wir Start-ups entwickeln.

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Was passiert, wenn das Geschäftsmodell steht?

Stein: Sobald wir ein Geschäftsmodell haben, das stabil ist, geht es in die Skalierung. Das ist die erste Wachstumsphase nach dem Markteintritt, wenn es Kunden gibt, die für das Produkt zahlen wollen. Hier wird ausgelotet: Finden wir immer wieder neue Kunden, generieren wir immer wieder neue Umsätze – dann wissen wir, dieses Geschäftsmodell kann funktionieren.

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Und wenn ein Thema floppt?

Stein: Das ist sogar die Regel. 99 Prozent der Themen, die man anfängt, werden nichts. Das passiert zum Beispiel dann, wenn man eine Idee hat, aber kein Problem dazu. Es gibt viele tolle Ideen, aber wenn es kein Kundenproblem gibt, finden Sie letztlich niemanden, der dafür zahlt. Von 100 Themen schaffen es 10 in die Skalierung. Stellen wir fest, dass wir mit einem Thema nicht weiterkommen, steigen wir aus. Das ist kein Rückschlag, damit ist zu rechnen. Es zeigt, dass der Prozess des iterativen Hinterfragens funktioniert.

99 Prozent der Themen, die man anfängt, werden nichts.

Jürgen Stein

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Was ist die wichtigste Erfahrung, die Sie als Innovationsmanager gemacht haben?

Stein: Dazu ein Beispiel. Tesla hat 17 Jahre kein Geld verdient. Ein Konzern, der auf EBITDA getrimmt ist und jedes Jahr Rendite und Dividende für seine Aktionäre erwirtschaften muss, hätte das Geschäftsmodell nicht so lange finanziert. Konzerngeschäft und Start-ups sind zwei verschiedene Welten. Die müssen sich in ihrer jeweiligen Logik respektieren. Wichtig ist, die richtige Nähe und Distanz zu finden. Einerseits ist es für uns hilfreich, das Wissen und die Ressourcen des Konzerns nutzen zu können, anderseits braucht es den Abstand zu den Regeln und Abläufen des Konzerns. Konzerne sind konsensgetrieben. Wenn man im Innovationskontext zu früh Konsens und Kompromiss findet, sucht man nicht weiter nach der perfekten Lösung. Innovation hat viel mit Klarheit und Widerspruch zu tun. Das muss man aushalten, der Konzern und das Innovationsmanagement.

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Welchen Ratschlag haben Sie für alle, die ein Geschäft gründen wollen?

Stein: Einfach anfangen und machen. Keine Folien produzieren, sondern einen Prototypen bauen. Sich nicht von Bedenkenträgern beirren lassen, sondern das Ziel weiterverfolgen. Ausdauer haben. Das Ganze ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Und man braucht gute Freunde und Partner unterwegs. Es ist kein Einzelkampf.

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Seit 2014 entwickelt die EnBW systematisch neue Geschäftsmodelle, gründet selbst Start-ups und steigt auch als Investor in Jungunternehmen ein. Mittlerweile hat sich die hauseigene Innovationsschmiede an die Spitze der deutschen Innovationslabore gesetzt. Im Juni 2021 erhielt das Innovationsteam der EnBW zum vierten Mal den „Digital Lab Award 2021“ vom Wirtschaftsmagazin Capital. Auch mit ihrem zweiten Standbein hat sich die EnBW in der Gründerszene einen Namen gemacht: Seit 2015 finanziert und begleitet die EnBW New Ventures GmbH mehr als ein Dutzend erfolgversprechender Start-ups bei ihrem Wachstum.

Blick in die Innovationswerkstatt der EnBW.

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