Gasmangellage: Das passiert, wenn das Gas knapp wird

Ukrainekrieg, Sanktionen, Lieferbeschränkungen: Bereits seit Anfang des Jahres zeichnen sich Turbulenzen bei der Gasversorgung ab. Die Situation auf dem Gasmarkt ist angespannt. Wir erklären, welche Regelungen aktuell gelten, was passiert, sollte der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die "Notfallstufe" ausrufen und wie der Verbrauch reduziert werden soll.

An welchen Stellen könnte es zukünftig zu Einschränkungen kommen? Das regelt der Notfallplan Gas. Die Bundesregierung hat aktuell mit der Alarmstufe die zweite Stufe ausgerufen. Lies, wie es dazu kam und was das genau bedeutet. Erfahre außerdem, wie es weiter geht, sollte die dritte und höchste Stufe ausgerufen werden – die sogenannte Notfallstufe.


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Was ist auf dem Gasmarkt passiert?

Die Lage auf dem Gasmarkt ist so angespannt wie nie zuvor. Bereits seit Herbst letzten Jahres stiegen die Preise rasant an. Das hatte damals noch andere Gründe als heute: Durch die unerwartet schnelle wirtschaftliche Erholung hatte die Nachfrage nach Erdgas (und anderen Energieträgern) schnell das Vor-Corona-Niveau erreicht. Doch die Förderung, die während der Pandemie zurückgegangen war, konnte nicht entsprechend schnell wieder hochgefahren werden.

Da die Nachfrage das Angebot überschritt, zogen die Großhandelspreise für Erdöl, Erdgas und Kohle an. Für Europa kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: Um den Klimaschutz voranzutreiben, benötigen Unternehmen CO2-Emissionszertifikate, wenn sie fossile Brennstoffe einsetzen wollen. Deren Kosten fließen dann in die Preise für die fossilen Energieträger ein.

Gas-Pipeline

Über große Pipelines kommt russisches Erdgas nach Deutschland (Symbolbild).

Ukraine-Krieg treibt Preise weiter nach oben

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine seit Ende Februar erreichten die Preise für Erdgas weitere Rekordmarken. Die Sorgen vor einer möglichen Verknappung (durch die Ukraine führt die wichtige Transgas-Pipeline, die über die Slowakei bis nach Deutschland reicht) trieb die Preise an den Gasmärkten nach oben, vor allem das zu Beginn des Krieges diskutierte Importverbot für Gas und Öl aus Russland sorgte für Preissprünge an den Energiebörsen. Darüber hinaus reduzierte Russland als Antwort auf die EU-Sanktionen die Liefermengen, was ebenfalls für einen Anstieg der Preise sorgte.

Die Beschaffungskosten der Gasversorger sind seither auf einem sehr hohen Niveau: Verglichen mit dem Vorjahr haben sich die Kosten für die Kilowattstunde mehr als vervierfacht. Das bleibt nicht ohne Folgen für private Haushalte: Ihre Heizkosten stiegen ebenfalls an, viele Verbraucher mussten oder müssen hohe Nebenkostenabrechnungen und höhere Abschlagszahlungen begleichen.

Ein Grund, warum der Ukraine-Krieg derartig massive Auswirkungen auf den deutschen Energiemarkt hat, ist die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Öl- und Gaslieferungen. Im vergangenen Jahr lag laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) der Anteil russischer Gaslieferungen am Gesamtverbrauch bei 55 Prozent, zudem stammte rund ein Drittel unseres Erdöls (35 Prozent) von dort. Durch die Bemühungen der Bundesregierung ist dieser Anteil zurückgegangen. Denn um weniger etwas abhängig zu sein, setzt die Bundesregierung auf eine diversifizierte Beschaffung und damit auf unterschiedliche Gaslieferanten. Dazu forciert die Politik zum Beispiel den Bau von LNG-Terminals. Mit LNG ist Flüssigerdgas gemeint. Die Abkürzung steht für Liquified Natural Gas. Die ersten beiden schwimmenden Terminals für den Import von Flüssigerdgas in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollen bereits bis Ende 2022 in Betrieb gehen. Der Ausbau der LNG-Infrastruktur soll helfen, die russischen Energielieferungen schrittweise zu verringern und bis 2024 einzustellen. Das zeigt aber auch, dass Deutschland eine gewisse Zeit braucht, um sich der Abhängigkeit von Energie aus Russland zu lösen.

LNG-Terminal für Flüssiggas

Mit dem Bau von LNG-Terminals will sich Deutschland unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen (Bild zeigt ein LNG-Terminal in Riga, Lettland).

Nach anderen europäischen Ländern ist jetzt auch Deutschland von Lieferbeschränkungen betroffen

Ersten Ländern hat Russland bereits die Gas-Zufuhr abgedreht. Die Lieferungen nach Italien, Österreich, Tschechien und die Slowakei wurden gedrosselt. Polen, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Dänemark und die Niederlande erhalten gar kein Gas mehr. Hintergrund ist der Streit um das neue Zahlungssystem, das Russland Ende März als Reaktion auf die Sanktionen des Westens angeordnet hatte.

Im Juni reduzierte der russische Gazprom-Konzern dennoch deutlich die Erdgaslieferungen, die über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland gelangen. Russischen Angaben zufolge erfolgte dies aufgrund von nötigen Reparaturarbeiten. Lagen im Juni die Lieferungen nur bei 40 Prozent der Maximalleistung, befindet sich die Pipeline nun in der planmäßigen Wartung und es fließt gar kein Gas mehr. Nord Stream 1 ist zwar nicht die einzige, im Moment aber die wichtigste Pipeline für russisches Erdgas. Zwar verbrauchen wir in Deutschland im Sommer deutlich weniger Gas. Die niedrigere Gasmenge bedeutet aber, dass wir unsere Gasspeicher für den Winter nicht so befüllen können wie geplant.

Gasbehälter zur Zwischenlagerung für den Winter

In großen Gasspeichern wird Erdgas zwischengelagert (Symbolbild).

Die drei Stufen des Notfallplans Gas

Da sich im Laufe der letzten Monate die Lage immer weiter verschärft hat, hat die Bundesregierung aktuell die zweite Stufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Der „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ wurde bereits im September 2019 veröffentlicht. Der Plan regelt, wie die Politik vorgeht, wenn sich die Versorgungslage für Erdgas zu verschlechtern droht bzw. wenn die ersten Versorgungsengpässe auftreten. Es gibt drei Stufen: die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Die Bundesnetzagentur hat zum Notfallplan Gas eine ausführliche FAQ-Liste zusammengestellt, auf der Sie viele Hintergrundinformationen erhalten.

Schon nach der Reduzierung der Gaslieferung über Nord Stream 1 war die langfristige Perspektive ungewiss. Ende Juni waren die Gasspeicher zwar bereits zu rund 60 Prozent gefüllt, was über den Werten der Vorjahre liegt. Das erklärte Ziel allerdings, bis zum Beginn des Winters die Gasspeicher auf bis zu 90 Prozent zu füllen, kann zum jetzigen Stand der Dinge nicht erreicht werden. Das ist aber notwendig, um eine ausreichende Reserve für den Winter zu haben.

Auf einer speziellen Webseite informiert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) über die aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland.

1. Die Frühwarnstufe

Ende März rief das Bundeswirtschaftsministerium bereits die erste Stufe aus, um sich auf die abzeichnende Verschlechterung im Jahresverlauf besser vorbereiten zu können. Im Bundeswirtschaftsministerium trifft sich das „Krisenteam Gas“ regelmäßig, um die Lage laufend einzuschätzen. Es besteht aus Vertretern des BMWK, der Bundesnetzagentur, des Marktgebietsverantwortlichen Gas (aktuell: Trading Hub Europe) und der Fernleitungsnetzbetreiber.

Gasversorger und Netzbetreiber müssen regelmäßig über die Marktlage an die Bundesregierung berichten und marktbasierte Maßnahmen ergreifen, um die Gasversorgung sicherzustellen. Dazu gehören zum Beispiel Flexibilitäten beim Gaseinkauf zu nutzen, auf Gasspeicher zurückzugreifen oder Lastflüsse zu den Verbrauchern zu optimieren.

Maßnahmen, um dem möglichen Gasmangel zu begegnen

Darüber hinaus hat das Bundeswirtschaftsministerium weitere Maßnahmen ergriffen, um die Versorgung mit Erdgas zu stärken:

  • Im März 2022 wurden über den Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe rund 950 Millionen Kubikmeter Erdgas zusätzlich angekauft und bis Ende Mai in mehreren Gasspeichern eingelagert.
  • Unternehmen, die an Terminbörsen mit Strom, Erdgas und Emissionszertifikaten handeln, müssen Sicherheitsleistungen („Margins“) finanzieren. Je stärker die Preise steigen, desto höher müssen die Margins ausfallen. Um die Liquidität der Unternehmen zu sichern, stellt die Bundesregierung seit dem 17. Juni KfW-Kredite zur Verfügung.
  • Am 30. April trat das Gasspeichergesetz in Kraft. Erstmals werden in diesem Jahr konkrete Füllstände für Gasspeicher vorgeschrieben, um die Versorgung in der Heizperiode zu gewährleisten. Zum 1. Oktober müssen die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sein, zum 1. November zu 90 Prozent. Am 1. Februar des Folgejahres muss der Füllstand immer noch 40 Prozent betragen.
  • Gazprom Germania – ein Tochterunternehmen des russischen Gazprom-Konzern, das in Deutschland kritische Energieinfrastruktur betrieb und im Frühjahr zahlungsunfähig wurde – wurde unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Das Unternehmen wird seine Tätigkeit unter dem Namen „Security Energy for Europe“ fortführen und stärker auf die Energiesicherung ausrichten.
  • Der Gasspeicher in Rehden, der größte Speicher in Deutschland und Teil der Infrastruktur, die bislang von Gazprom Germania betrieben wurde, wird per Ministerverordnung zusätzlich befüllt. Anders als bei anderen Gasspeichern wies der Speicher in Rheden über Monate hinweg auffallend niedrige Füllstände (zwei Prozent) auf.

2. Die Alarmstufe (ist aktuell in Deutschland ausgerufen)

Am 23. Juni folgte die zweite Stufe: die Alarmstufe. (In dieser befinden wir uns aktuell.) Diese tritt in Kraft, wenn eine Störung der Gasversorgung vorliegt oder die Nachfrage nach Gas außergewöhnlich hoch ist, so dass sich die Versorgungslage erheblich verschlechtert. Laut BMWK ist durch die hohen Gaspreise und die reduzierten Lieferungen von Nord Stream 1 dieser Fall eingetreten.

In der Alarmstufe verzichtet der Staat weiterhin auf Eingriffe in den Gasmarkt. Das bedeutet: Der Markt ist noch in der Lage, die Störung bzw. die hohe Nachfrage zu bewältigen. Unternehmen müssten beispielsweise zwar die hohen Preise bezahlen, könnten sich aber weiterhin trotzdem mit Gas versorgen.

Gleichwohl kann die Bundesregierung im Notfall unterstützen, zum Beispiel Unternehmen in der Gasversorgungskette mit Krediten helfen, wenn diese die hohen Preise aus eigener Kraft nicht mehr stemmen können und ein Zahlungsausfall droht. Ansonsten sollen die Maßnahmen der Frühwarnstufe (Rückgriff auf Flexibilitäten, Gasspeicher, Lastflussoptimierung) weiter genutzt werden.

Weitere Maßnahmen gegen den Gasmangel

Über die beschriebenen Maßnahmen wurden folgende Vorhaben umgesetzt:

  • Um den Gasverbrauch in der Stromproduktion zu senken, kommen wieder verstärkt Kohlekraftwerke zum Einsatz. Das sogenannte „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ wurde am 8. Juli im Bundesrat beschlossen.
  • Noch im Sommer ging ein Gasauktions-Modell an den Start, das industriellen Verbrauchern einen zusätzlichen Anreiz bietet, Gas einzusparen.
  • Die Bundesregierung stellte zusätzliche KfW-Kreditlinien zur Verfügung, um die weitere Einspeicherung von Gas sicherzustellen. Im ersten Schritt standen 15 Milliarden Euro bereit.

3. Die Notfallstufe

Die dritte und letzte Stufe des Notfallplans stellt die Notfallstufe dar. Die Notfallstufe wird aktiviert, wenn die Maßnahmen der ersten und zweiten Stufe nicht ausreichen oder eine dauerhafte Verschlechterung der Versorgung eintritt. Dabei wird entweder eine erhebliche Störung des Gasmarkts beobachtet oder es besteht eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Erdgas.

Mit der Notfallstufe hat der Staat die Möglichkeit, direkt ins Marktgeschehen einzugreifen und eine Reihe von Maßnahmen zu verordnen, um Erdgas nach bestimmten Kriterien zu verteilen und zu transportieren bzw. um generell Energie einzusparen.

Das Vorgehen ist wie folgt: Die Bundesnetzagentur agiert als Bundeslastverteiler und erlässt Vorgaben für die Betreiber des Fernleitungsnetzes. Diese müssen die vorgegebenen Einsparungen bei den Gasmengen vornehmen und entsprechende Anweisungen an die nachgelagerten Netzbetreiberweitergeben. Gaslieferanten und -anbieter wie die EnBW haben keinen Einfluss auf die Entscheidung, sondern müssen die Vorgaben umsetzen.

Gas-Hahn

Bei Ausrufung der Notfallstufe wird zuerst der Industrie der Gashahn zugedreht.

Einschränkungen zuerst bei der Industrie

In der Notfallstufe müssen vor allem sogenannte nicht-geschützte Kunden mit Einschränkungen rechnen. Dazu gehören etwa Industrieunternehmen. Das hat wirtschaftlich gesehen Folgen: Als Rohstoff zum Beispiel findet Erdgas in einer ganzen Reihe von Branchen Verwendung, zum Beispiel als Basis für die Herstellung chemischer Stoffe wie Lacke, Farben und Klebstoffe oder für die Produktion von Düngemitteln. In anderen Branchen, etwa im Automobilbau, der Papierherstellung oder in der Stahl- und Metallverarbeitung, ist Erdgas der wichtigste Brennstoff für moderne Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die Strom und Wärme für die Produktionsprozesse liefern.

In welcher Reihenfolge Unternehmen kein Erdgas mehr geliefert bekommen, ist im Notfallplan Gas nicht festgelegt. Stattdessen legt die Bundesnetzagentur ihre Verfügungen immer im Einzelfall und anhand der konkreten Umstände fest (Füllmengen in den Gasspeichern, Witterungsbedingungen, erzielte Einsparungen, notwendige Vorlaufzeit für Abschaltungen etc.). Auch kann die Rationierung anhand der Systemrelevanz bestimmte Branchen erfolgen. Vor allem die Metall-, Chemie- und Papierindustrie dürften Rationierungen treffen.

Private Haushalte gehören zu den geschützten Gruppen

Dass private Haushalte von Einschränkungen betroffen sein werden, ist aktuell nicht vorherzusehen. Denn die Notfallstufe stellt bestimmte Verbrauchergruppen unter gesetzlichen Schutz. Das heißt: Sie werden vorrangig mit Gas versorgt. Zu den geschützten Verbrauchern gehören:

  • private Haushalte
  • soziale Einrichtungen, zum Beispiel Krankenhäuser, Seniorenheime und Wohnheime für Menschen mit Behinderung
  • Einrichtungen von Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr sowie Justizvollzuganstalten
  • Gaskraftwerke, die neben der Stromerzeugung auch Haushalte mit Wärme versorgen

Wenn sich die Versorgung mit Erdgas weiter verschärft, ergeht aber auch an private Haushalte der dringende Aufruf, selbst einiges zu unternehmen, um Gas einzusparen.