Um den Ausbau der Windenergie auf See möglichst naturverträglich zu gestalten, müssen zahlreiche naturschutzrechtliche Anforderungen erfüllt werden. Neue Windparks dürfen nur gebaut werden, wenn Untersuchungen zur Naturverträglichkeit durchgeführt werden. Diese Untersuchungen beginnen bereits vor dem Bau eines Windparks, laufen während der Bauphase und werden in den ersten Betriebsjahren weitergeführt. Ziel ist es, mögliche Einflüsse auf marine Säugetiere, Vögel, Fische und weitere Lebewesen frühzeitig zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. „Pro Offshore-Windpark-Projekt zahlen wir pro Jahr rund 2 Millionen Euro für jährliche Umweltmonitorings,“ erklärt Dr. Gotje von Leesen, die bei EnBW als Umweltmanagerin für Offshore Wind arbeitet und in Meeresbiologie promoviert hat.
Windparks wirken positiv auf die Biodiversität
Die Erfahrungen der EnBW seit der Inbetriebnahme des ersten kommerziellen deutschen Offshore-Windparks EnBW Baltic 1 vor rund 15 Jahren sowie Studien renommierter Forschungsinstitute, Branchen- und Umweltverbände zeigen: Während der Fundamentinstallation meiden maritime Säugetiere das Gebiet des Offshore-Windparks. „Nach dem Bau der Windparks zeigen sich jedoch viele positive Effekte auf die Tierwelt und die Biodiversität im Meer,“ sagt Dr. Gotje von Leesen. Fischbestände etwa erholen sich, weil die Parks für die Fischerei tabu sind. Und die unter der Wasseroberfläche liegenden Bauteile der Windkraftanlagen bilden künstliche Riffe als Lebensraum für allerlei Tiere und Pflanzen.
Schweinswale: Höchste internationale Schutzmaßnahmen beim Bau
Das Vorkommen von marinen Säugetieren wie unter Artenschutz stehenden Schweinswalen, Robben und Seehunde wird vor, während und nach Errichtung einer Offshore-Windkraftanlage mit einem Monitoring begleitet. Ergänzt wird es durch Hydroschallmessungen, die Rufe und Laute der Tiere erfassen.
Speziell die Bauphase von Offshore-Windkraftanlagen, in der die Fundamente (Monopiles) in den Meeresboden getrieben werden, stellt für die Unterwasserwelt eine Lärmbelästigung dar. Säugetiere wie Schweinswale und Robben, aber auch Fische wie Dorsche nutzen Schall, um sich zu orientieren, Beute zu orten, zu kommunizieren oder Feinde wahrzunehmen.
Während der Bauarbeiten von Offshore-Windparks dürfen festgelegte Lärmgrenzwerte nicht überschritten werden. So darf das Rammen der Monopiles in den Meeresboden in 750 Meter Entfernung nicht lauter als 160 Dezibel im Durchschnitt und bis maximal 190 Dezibel als Spitzenwert sein. Dies ist der strengste Schallschutzstandard weltweit., der von unabhängigen Instituten während des Baus gemessen und zur Kontrolle an die zuständige Behörde gesendet wird.
Die EnBW hat im letzten Jahr bei der Installation der Fundamente von EnBW He Dreiht ein innovatives, extra für die EnBW neu entwickeltes Schallschutzsystem eingesetzt. Es handelt sich um ein doppelwandiges Stahlrohr durch das Luftblasen aufsteigen. Dadurch dämpft es den Schall direkt an der Quelle.
Zusätzlich wurde ein doppelter Blasenschleiern eingesetzt, der gegen den Schall mit einer simplen, aber sehr wirksamen Methode wirkt. „Stellen Sie sich das wie einen großen Gartenschlauch mit vielen Löchern vor, der auf dem Meeresboden rund um die Baustelle liegt und in den wir Luft blasen“, erklärt Dr. Gotje von Laasen. „Die Luftblasen steigen wie in einem Whirlpool nach oben an die Meeresoberfläche, verändern dabei die Dichte des Wassers und brechen Schallwellen.“ Der Effekt: Baulärm kann sich nicht mehr ungehindert rund um die Baustelle ausbreiten, er wird hierdurch abgeschwächt.
In Betrieb befindliche Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee sind Rückzugsräume für Schweinswale. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Langzeitstudie vom Institut BioConsult SH und IBL Umweltplanung GmbH. Die Detektionsraten von Schweinswalen sind innerhalb von Windparks signifikant höher als im Umfeld – ein Hinweis auf mögliche Riff- und Refugiumseffekte. Die Analyse basiert auf Daten aus 13 Jahren an mehr als 60 Stationen in der Deutschen Bucht in der Nordsee.
In Zukunft lassen sich möglicherweise aber auch die temporären Störungen durch die Verankerungen der Fundamente im Meeresboden vermeiden. „Um den Lärm beim Bau von Fundamenten weiter zu reduzieren, werden aktuell neue Installations- und Schallschutztechnologien erforscht“, sagt Dr. Gotje von Leesen.
Einflüsse auf weitere Tierarten
Benthos
Ansiedlung neuer Arten am Fundament
Benthos: Ansiedlung neuer Arten am Fundament
Die Untersuchung des Benthos, der im Sediment des Meeresbodens lebenden Organismen, erfolgt durch Kratzproben, deren Auswertung eine genaue Artbestimmung der Ansiedlungen ermöglicht. „Wir haben beobachtet, dass bei vielen Arten die Population in Windparks steigt. An den Fundamenten etwa setzen sich zentimeterdick Miesmuscheln ab. Es entsteht ein künstliches Riff“, erklärt Stuible. Die Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen eines Forschungsprojekts des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung zu den benthosökologischen Auswirkungen von Offshore-Windenergieparks: Bereits 2013 berichteten die Wissenschaftler, dass die Fundamente aus Stahl und Beton den Lebensraum unter Wasser eher bereichern als einschränken. Denn sie stellten – ähnlich wie etwa Schiffswracks – ein künstliches „Hartsubstrat“ dar, welches die Ansiedlung von Organismen ermögliche, die im natürlichen Weichboden selten bis nie vorkämen. So wiesen die Forscher etwa an einer untersuchten Anlage eine erhöhte Population des Taschenkrebses nach.
Fische
Dorsche und Kabeljau breiten sich aus
Fische: Dorsche und Kabeljau breiten sich aus
Seit den 1980er Jahren gehen die Fischmengen in Nord- und Ostsee zurück. Viele Bestände sind überfischt. Damit sich die Fischpopulationen erholen können, gibt es in Nord- und Ostsee Schutzzonen, in denen das Fischen verboten ist. Umweltschützer halten sie jedoch noch für zu klein und plädieren für weitere Schongebiete sowie konsequentere Einschränkungen der Fischerei.
Da Windparks für die Schifffahrt sowie für den Fischfang gesperrt sind, wirken sie auf die Fischwelt ähnlich wie Schutzzonen. Mit anderen Worten: Die Fischwelt kann sich hier ungestört entfalten.
Künstliche Steinaufschüttungen, welche zum Schutz des Fundaments der Windkraftanlagen dienen, bilden einen „künstlichen Riff“-Effekt. Diese Strukturen um die Fundamente können nicht nur dem Kabeljauals als Laichgrund dienen, sondern auch Lebensraum für reichhaltige Nahrungsquellen sein – ein entscheidender Faktor für die Erholung und den Fortbestand mariner Populationen. Darüber hinaus belegen die Studienergebnisse, dass die neu geschaffenen Habitate auch anderen Arten zugutekommen.
Offshore-Windparks können Refugien für den Kabeljau in der Nordsee sein.
Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Seefischerei wiesen im Rahmen des zweijährigen Projekts „Offshore-Windparks im Kontext ökosystembasierter Raumplanung und Nutzung“ 2020 nach, dass sich auch der Kabeljau in Windparks offenbar wohlfühlt: „Kabeljau aggregiert sich an den Anlagen. Planktonfänge in Kombination mit Driftmodellen weisen auf Laichaktivitäten im Windparkgebiet hin“, heißt es im Abschlussbericht der Studie. Plankton bezeichnet die im Wasser umhertreibenden Organismen. Sogenannte Driftmodelle sind Vorhersageverfahren zur Simulation von Ausbreitungsprozessen im Meer. Für die Untersuchung analysierten die Wissenschaftler des Bundesforschungsinstituts auch den Mageninhalt von Kabeljau aus Windparks – mit der Erkenntnis, „dass das Nahrungsspektrum der Tiere aus dem Windpark sehr viel diverser ist als das der Tiere, die außerhalb des Windparks gefangen wurden“.
Vögel
Lassen sich nicht stören
Vögel: Lassen sich nicht stören
„Beim Thema Avifauna geht es in erster Linie um Rast- und Zugvögel“, erklärt EnBW-Experte Lars Stuible. „Ein Rastvogel ist beispielsweise die Möwe, ein Zugvogel etwa der Kranich.“ Von Flugzeugen und Schiffen aus sind für das Biomonitoring an mehreren Beobachtungspunkten in einem bestimmten Gebiet die vorkommenden Vogelarten und -mengen zu erfassen. Dies geschieht mit Fotoaufnahmen und Sicht- und Rufbeobachtungen. „Dabei ist vor allem auch die Flughöhe interessant“, so Stuible.
Das Vorurteil des „Vogelhäckslers auf See“ bestätigen die Untersuchungen nicht. „Wir sehen, dass Windparks durchaus Hindernisse darstellen, von den Vögeln aber überflogen werden. Das zeigt sich auch daran, dass wir keine toten Vögel auf unseren Fundamenten finden oder im Wasser treiben sehen. Das würden wir mitbekommen, wir sind ja jeden Tag vor Ort“, erklärt Stuible. Große Schwärme von Zugvögeln weichen den Anlagen EnBW Baltic 1 und EnBW Baltic 2 aus, wie seit Jahren zu beobachten sei. „Deshalb müssen wir dort auch keine vorübergehenden Abschaltungen – etwa mit Hilfe von Radarerfassungen des Vogelzugs – vornehmen.“
Eigene Untersuchungen des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bestätigen, dass die Kollisionsgefahr für Seevögel gering ist und ziehende Vogelarten Windparks ausweichen. 2018 veröffentlichte das Offshore Renewables Joint Industry Programme (ORJIP) Ergebnisse aus der weltweit umfassendsten und technisch aufwendigsten Untersuchung des Verhaltens von Seevögeln und des Kollisionsrisikos mit Offshore-Windparks. Ergebnis: Das Ausweichverhalten der Vögel ist höher als häufig vermutet. Während der zweijährigen Untersuchungszeit beobachteten die beteiligten Wissenschaftler in einem Windpark vor der Küste Großbritanniens nur sechs Kollisionen – das entspricht 0,05 Prozent aller dort aufgezeichneten Flugbewegungen.
Windparks entwickeln sich zu Schutzräumen
Erfreuliches Resümee: Bei allen Schutzarten der Meerestierwelt, bei denen mit einem umfassenden Biomonitoring mögliche Einflüsse festzustellen sind, haben sich keine negativen Auswirkungen durch die Errichtung und den Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen der EnBW gezeigt. „Deshalb haben EnBW Baltic 1 und EnBW Baltic 2, unsere beiden langjährig in Betrieb befindlichen Windparks, bislang auch keinerlei zusätzliche Auflagen erhalten“, fasst Lars Stuible zusammen, der als Manager im Betrieb für die Ostsee-Windparks der EnBW tätig ist.
Dass in Windparks durch „künstliche Riffe“ und den Fischereiausschluss neue, ungestörte Ökosysteme entstehen, ist ein erfreulicher Nebeneffekt. Das reichhaltige Nahrungsangebot in den neuen, veränderten Lebensräumen zieht Schweinswale, Robben und Fische an – die Windparks entwickeln sich so zu Schutzräumen, die der Artenvielfalt dienen.