Welches sind aus Ihrer Sicht die Kernbereiche der Energiewende, in denen wir in Deutschland das Tempo erhöhen müssen?
Wenn wir die Klimaziele 2030 erreichen wollen, sind sechs Punkte elementar. Erstens: Wir müssen die Erneuerbaren Energien ausbauen. Die Ziele und Zahlen sind bekannt – und sehr ambitioniert. Zweitens: Wir müssen Gaskraftwerke bauen, die sogenannte disponible Leistung bereitstellen und die einspringen, wenn die Erneuerbaren nicht liefern können. Außerdem müssen wir die Netze ausbauen. Das betrifft einerseits die großen Gleichstrom-Überlandleitungen wie SuedLink, aber andererseits auch die Verteilnetze. Letzteres wird oft unterschätzt, aber die Energieerzeugung wird künftig viel dezentraler funktionieren. Daher müssen wir fünftens den Bedarf unserer Kunden besser steuern können, etwa durch dynamische Stromtarife oder den flächendeckenden Einbau von Smart Metern, also intelligenten Stromzählern. Und sechstens: Wir müssen die Wasserstoffwirtschaft aufbauen.
Wie können wir es schaffen, in diesen sechs Dimensionen schneller voranzukommen? Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür?
Wir brauchen eine klare Zielorientierung. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich beschleunigt und Bürokratie abgebaut werden. Die Planungs- und Genehmigungszeit für einen Windpark beträgt in der Regel immer noch rund 7 Jahre. Es gibt bereits gemeinsame Initiativen von Wirtschaft und Politik, um das Problem anzugehen. Im schwäbischen Burladingen arbeiten wir beispielsweise gemeinsam mit der Politik und den Behörden an einem Modellprojekt, um die Genehmigungszeit für den Bau eines Windparks vor Ort von den im Durchschnitt üblichen zwei Jahren auf sechs Monate zu reduzieren. Genau solche Initiativen braucht es jetzt! Denn ähnliche Erschwernisse zeichnen sich auch in anderen Bereichen der Energiewende ab – beispielsweise beim Ausbau der Netzinfrastruktur oder der Schnellladeinfrastruktur für E-Autos. Politik und Wirtschaft müssen jetzt an einem Strang ziehen, um die richtigen Rahmenbedingungen für mehr Geschwindigkeit bei der Dekarbonisierung in allen Sektoren zu schaffen. Gleichzeitig ist es enorm wichtig, die Themen der Energiewende auch gesellschaftlich zu diskutieren. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Gleichstromtrasse SuedLink, einem Schlüsselprojekt der Energiewende. Um Bedenken in der Bevölkerung zu adressieren, wurden die benötigten Leitungen weitgehend unter der Erde verlegt. Das Problem dabei: Das ist zwei- bis dreimal teurer als der Bau von Freileitungen. Über diese Themen müssen wir sprechen. Denn wir müssen jetzt vorankommen mit der Energiewende.
Wie soll all dies umgesetzt werden?
Wir brauchen einen klaren, übergeordneten Plan. Aktuell werden die Projekte der Energiewende sequenziell geplant. Kommt ein Schritt ins Stocken, stockt auch der Gesamtprozess. Das kostet wertvolle Zeit. Im Flugzeugbau gibt es einen erprobten Weg, um Projekte schneller zu machen: den Prozess vom Ergebnis her zu denken. Damit können Schritte vorgedacht werden und es zeigt sich, wo parallel oder vorgearbeitet werden sollte. Wir müssen also einen integrierten Plan aufstellen, priorisieren, die richtigen Fragen stellen – und vor allem Antworten finden.
Über all dem steht natürlich die Frage nach der Finanzierung. Denn die Energiewende kostet Geld – sehr viel Geld. Die meisten Studien gehen von über 800 Milliarden Euro bis 2030 aus.
Welche Rolle spielt die Gestaltung des Marktdesigns für die Finanzierung der Energiewende?
Das passende Energiemarktdesign setzt den Rahmen für die Umsetzung der Energiewende. Wir brauchen enorme Investitionen in die gesamte Energieinfrastruktur, zum Beispiel für den Bau neuer Anlagen für die Energieerzeugung, die Entwicklung innovativer Technologien oder den Ausbau der Netze. Das wird der Staat nicht allein stemmen können. Das künftige Marktdesign muss also so gestaltet werden, dass es starke Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen bietet. Das kann nur mit einem klaren Bekenntnis zu einem marktbasierten Modell gelingen.
Wichtig ist auch, den Markt für langfristige Abnahmeverträge von Ökostrom zu stärken. Mehrjährige Lieferverträge dienen zunehmend der Finanzierung neuer Erzeugungsanlagen wie Solar- und Windparks und treiben den Ausbau voran. Der Bund wiederum kann Endkund*innen unterstützen, indem er bei grüner Energie staatliche Lasten im Zuge einer Reform des Umlagen- und Abgabensystems senkt.
Auf dem Höhepunkt der Energiekrise hat die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen beschlossen, um die Mehrbelastungen für Bürger*innen zu begrenzen. War das richtig?
Wir befinden uns in Deutschland noch immer in einer der bislang herausforderndsten Energiemarktsituationen. Selbstverständlich befürworten wir als Energieversorger, Kostensteigerungen für Kund*innen in dieser kritischen Situation abzumildern. Daher unterstützen wir grundsätzlich Instrumente wie Strom- und Gaspreisbremsen oder Gewinnabschöpfung. Klar ist aber auch, dass diese staatlichen Markteingriffe ein Enddatum haben müssen. Sie dürfen nicht zu einer zunehmenden staatlichen Steuerung des Energiemarkts führen.
Was passiert aus Ihrer Sicht, wenn der Staat seine Eingriffe in den Energiemarkt nicht beendet?
Bei einem Modell mit andauernden Staatsinterventionen besteht das erhebliche Risiko der dauerhaften Marktschädigung mit Folgen weit über die aktuelle Krisenbewältigung hinaus.
Kurzfristig führen Eingriffe zwar zu einer Entlastung der Kund*innen. Allerdings wäre der administrative Aufwand dauerhafter staatlicher Detaileingriffe hoch und müsste perspektivisch über die Energiepreise bezahlt werden. Wenn es uns hingegen mit Hilfe privatwirtschaftlicher Investitionen gelingt, den Umbau des Energiesystems schneller voranzutreiben, werden langfristig auch die Energiepreise für Verbraucher*innen sinken.
Darüber hinaus entziehen staatliche Eingriffe Energieunternehmen wichtige Investitionsmittel für den Ausbau der klimafreundlichen Stromerzeugung. In der Folge könnten sich Kapitalgeber*innen von wichtigen Energiewendeprojekten abwenden. Mehr noch: Die Tatsache, dass mögliche künftige Markteingriffe nur schwer vorherzusagen sind, könnte Investor*innen von vornherein abschrecken.
In der Konsequenz könnte sich der Ausbau verlangsamen, was Deutschlands Abhängigkeiten von anderen Ländern erhöhen und die Versorgungssicherheit im Land gefährden würde. Investitionen in die Energiewende sind also der beste Schutz gegen künftige Energiekrisen.
Einige der aktuellen Vorschläge zur Überarbeitung des EU-Strommarktdesigns zielen eher auf weitere staatliche Eingriffe ab. Wie bewerten Sie diese?
Die große Herausforderung besteht sicherlich darin, den für die europäischen Verbraucher*innen vorteilhaften Energiebinnenmarkt trotz der heterogenen Interessen einzelner EU-Mitgliedsstaaten zu bewahren. Aus unserer Sicht sind Optimierungen des Marktdesigns, die eine effiziente Stromerzeugung zu minimalen Kosten fördern, zu begrüßen. Es ist wichtig, dass sich Deutschland proaktiv in die europäische Diskussion einbringt – auch als Gegengewicht zu Ländern wie Frankreich und Spanien. Diese Länder befürworten derzeit regulatorische Eingriffe, die aus unserer Sicht wegen ihrer investitionshemmenden Wirkung nicht dazu geeignet sind, die Energiewende zum Erfolg zu führen.