„Kein anderer Stoff hat die Geschichte Europas in den vergangenen 200 Jahren so sehr geprägt wie die Kohle“, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem Magazin „Abschied von der Kohle. Struktur- und Kulturwandel im Ruhrgebiet und in der Lausitz“. Denn Kohle lieferte die Energie für Industrialisierung und wirtschaftliches Wachstum des Kontinents. Der Kohlebergbau selbst bildete einen mächtigen Industriezweig, der unter anderem den Aufschwung der deutschen Stahl- und Eisenproduktion sowie des Maschinenbaus oder auch der Chemieindustrie förderte.
Heute steht die Kohle-Ära in Deutschland kurz vor ihrem Ende: Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist beschlossen und soll bis spätestens 2038 abgeschlossen sein. Schon jetzt übernehmen erneuerbare Energien fast 60 Prozent der Stromerzeugung. Wir erklären, welche Rolle Kohle in Deutschland noch spielt, warum der Ausstieg notwendig ist und wie es mit Kohlekraftwerken und -regionen weitergeht.
Welche Rolle spielen Kohlekraftwerke heute noch in Deutschland?
Die Bedeutung von Kohle als Energieträger nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. 2024 stammten laut dem Branchenverband BDEW noch 21,6 Prozent der inländischen Stromproduktion aus Kohlekraftwerken. Damit bleibt sie zwar nach der Windkraft der zweitwichtigste Energieträger, erreicht jedoch mit 16 Prozent weniger Einspeisung ins Stromnetz als im Vorjahr einen neuen Tiefstand.
Wie viele Kohlekraftwerke hat Deutschland?
In Deutschland sind laut Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur insgesamt 97 Kraftwerkseinheiten in Betrieb, die Strom erzeugen. Die installierte Bruttoleistung im Jahr 2024 verteilt sich auf Braunkohle- (15.119 Megawatt) und Steinkohlekraftwerke (15.973 Megawatt). Wichtig dabei: Allein 6.372 Megawatt der Steinkohlekraftwerke befinden sich bereits in der sogenannten Netzreserve. Das heißt, die Kraftwerke produzieren nicht mehr aktiv für den Strommarkt, sondern werden nur auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber bei längerfristigen, vorhersehbaren Engpässen eingesetzt, um die Netzstabilität zu sichern. Für die kurzfristige Regelung von Schwankungen durch Wind und Sonne sind sie jedoch aufgrund ihrer mangelnden Flexibilität ungeeignet. Dafür sollen künftig wasserstofffähige Gaskraftwerke zum Einsatz kommen, die sich deutlich schneller hoch- und auch wieder herunterfahren lassen.
Was spricht für den Kohleausstieg?
Kohlekraftwerke passen nicht mehr in ein modernes, klimafreundliches Energiesystem.
Grund 1: Der Klimaschutz
Kohle ist der klimaschädlichste aller fossilen Energieträger. Das zeigt die durchschnittliche CO₂-Bilanz:
- Braunkohle: 1,073 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
- Steinkohle: 0,970 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
- Erdgas (GuD-Kraftwerk): 0,408 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
- Windkraft Meer: 0,00447 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
- Solarzellen 0,0269 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
- Deutscher Strommix inklusive erneuerbarer Energien: 0,392 kg CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde
Die abnehmende Kohleverstromung wirkt sich bereits auf die CO₂-Bilanz des Sektors aus. Die Emissionen der Energiewirtschaft sanken 2024 auf 185 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente – ein Minus von 18 Millionen Tonnen gegenüber 2023. Das entspricht einem Rückgang von 9 Prozent.
Grund 2: Mangelnde Flexibilität
Kohlekraftwerke, insbesondere Braunkohlekraftwerke, sind technisch nicht kurzfristig regelbar. Sie wurden für den sogenannten Grundlastbetrieb konzipiert – also dafür, kontinuierlich mit konstanter Leistung zu laufen. Das passt nicht zu einem Stromsystem, das zunehmend auf wetterabhängige erneuerbare Energien setzt und in dem disponible Kraftwerke ihre Leistung schnell hochfahren und vor allem reduzieren können müssen, um Schwankungen in der Stromproduktion durch Windkraft- und Solaranlagen auszugleichen.
Grund 3: Zu teuer
Erneuerbare Energien sind bereits heute günstiger: Eine Kilowattstunde Strom zu produzieren, kostet bei neuen Onshore-Windkraftanlagen beispielsweise zwischen 4,3 bis 9,2 Cent pro Kilowattstunde, bei Photovoltaik 4,1 bis 14,4 Cent – während die Stromgestehungskosten für Steinkohle bei 17,3 bis 29,3 Cent und für Braunkohle bei 15,1 bis 25,7 Cent liegen. Das macht Kohlestrom wirtschaftlich unrentabel.
Hinzu kommen steigende Kosten durch den europäischen Emissionshandel: Der Preis für CO₂-Emissionszertifikate schwankt derzeit zwischen 70 und 75 Euro pro Tonne (Stand: Juli 2025). Bei den hohen CO₂-Emissionen von Kohlekraftwerken (rund 1 Kilogramm CO₂ pro Kilowattstunde) bedeutet das zusätzliche Kosten von etwa 7 bis 7,5 Cent pro Kilowattstunde allein für die Emissionszertifikate – Tendenz steigend. Der Emissionshandel macht fossile Energieträger zunehmend teurer und setzt starke wirtschaftliche Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen.
Was passiert mit den Kohlekraftwerken?
Stilllegung oder Netzreserve
Ziel ist es, alle Kohlekraftwerke bis 2038 stillzulegen. Entscheidend ist, ob es bis dahin genug flexibel einsetzbare Kraftwerksleistung in Form neuer Gaskraftwerke gibt. Ein Teil der Kohlekraftwerke wird deshalb zunächst in die Netzreserve übergehen, bevor sie endgültig stillgelegt werden können. Die Entscheidung darüber treffen übrigens nicht die Betreiber, sondern die Bundesnetzagentur.
Umbau zum Gaskraftwerk
Eine weitere Möglichkeit ist der Umbau des Kraftwerksstandorts: anstelle von Kohle erzeugen dann neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke Strom und Wärme. Dieser Wechsel des Energieträgers wird Fuel Switch genannt. Der Vorteil ist, dass Teile der bestehenden Infrastruktur, zum Beispiel die Kühltürme und der Netzanschluss, weiter genutzt werden können.
Es gibt aber auch gänzlich neue Nutzungskonzepte für die Kraftwerksstandorte: Am EnBW-Kraftwerksstandort Heilbronn wurde bereits 2018 ein Batteriespeicher mit 768 Lithium-Ionen-Batteriemodulen in Betrieb genommen, der mit fünf Megawatt Leistung Primärregelenergie für das Stromnetz bereitstellt. In Marbach entsteht derzeit ein Großbatteriespeicher mit 100 Megawattstunden Kapazität – groß genug, um rechnerisch eine Kleinstadt 24 Stunden lang mit Strom zu versorgen. Auch hier profitieren die Projekte von der vorhandenen Infrastruktur.
Was kostet der Kohleausstieg?
Der Kohleausstieg ist mit hohen Kosten verbunden, unter anderem für:
Welche Folgen hat der Kohleausstieg?
Für die Kohleregionen – insbesondere in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt – bedeutet der Kohleausstieg einen tiefgreifenden Strukturwandel. Der Bund unterstützt diesen Prozess mit umfangreichen Förderprogrammen wie STARK und dem Investitionsgesetz Kohleregionen, die auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur und die Entwicklung nachhaltiger Arbeitsplätze zielen. Dies umfasst unter anderem den Ausbau von Verkehrswegen und der digitalen Infrastruktur, die Ansiedlung neuer Unternehmen und die Unterstützung von Forschungs-, Bildungs- und Innovationsprojekten. So werden etwa neue Bahnstrecken geplant, ehemalige Tagebauflächen renaturiert, Technologiezentren aufgebaut und nachhaltige Energiekonzepte gefördert.
Hat der Kohleausstieg Folgen für die Versorgungssicherheit?
Der Kohleausstieg kommt nicht von jetzt auf gleich. Vielmehr ist es ein strukturierter, schrittweiser Ausstieg, der bislang zu keiner akuten Gefährdung der Versorgungssicherheit geführt hat. Die Bundesnetzagentur betont, dass bei jeder Kraftwerksstilllegung zunächst die Systemrelevanz der Anlage ausführlich geprüft wird. Ist diese gegeben, geht das Kohlekraftwerk in die Netzreserve über.
Welche rechtlichen Folgen hat es, wenn der Kohleausstieg nicht wie geplant funktioniert?
Das Vorgehen und die Fristen für den Kohleausstieg sind im Kohleausstiegsgesetz aus dem Jahr 2020 verbindlich geregelt. Kommt der Kohleausstieg nicht wie gesetzlich vorgesehen voran, kann das rechtliche Folgen haben, weil nationale Klimaschutzgesetze verletzt und internationale Abkommen, etwa die EU-Klimaziele, nicht eingehalten werden. Die Folge könnten Klagen durch Umweltverbände oder Sanktionen auf EU-Ebene sein.
Ist der Kohleausstieg ein deutscher Sonderweg?
Nein. Der Kohleausstieg ist ein globaler Trend, wird jedoch mit unterschiedlichem Tempo vorangetrieben. In Europa schreitet er am schnellsten voran: Einige Länder haben bereits vollständig auf Kohle verzichtet, darunter Belgien, Schweden, Österreich, Portugal oder die Slowakei. Doch global zeigt sich ein gespaltenes Bild: Während die G7-Staaten ihre Kohlekapazitäten deutlich reduzierten, bauten China und Indien ihre massiv aus: Allein diese beiden Länder sind heute für 87 Prozent aller weltweit neu geplanten Kohlekraftwerke verantwortlich. Allerdings: Selbst in diesen Staaten wachsen erneuerbare Energien schneller als Kohle – China produziert bereits mehr Ökostrom als alle anderen Länder zusammen und will bis 2060 klimaneutral werden.
Wie funktioniert ein Kohlekraftwerk?
Ein Kohlekraftwerk funktioniert wie eine große Dampfmaschine, die Wärmeenergie in mehreren Schritten in elektrische Energie umwandelt.
Kohlevorbereitung
Die angelieferte Kohle wird in Kohlemühlen zu feinem Staub gemahlen. Dieser Kohlestaub hat eine größere Oberfläche und verbrennt dadurch effizienter und schneller.
Verbrennung
Der Kohlestaub wird in den Brennraum (Dampferzeuger) eingeblasen und bei über 1.000 Grad Celsius verbrannt. Dabei entstehen heiße Rauchgase. Diese erhitzen Wasser, das über ein Rohrsystem durch die Brennkammer geführt wird.
Dampferzeugung
Es entsteht heißer Dampf mit Temperaturen von bis zu 600 Grad Celsius und einem enormen Luftdruck.
Stromerzeugung
Der Hochdruck-Dampf strömt durch eine Dampfturbine, gibt seine Energie an die Turbinenschaufeln ab und bringt sie zum Drehen. Die Turbine ist mit einem Generator verbunden, der die Drehbewegung (mechanische Energie) in elektrischen Strom umwandelt.
Kühlung
Der Dampf wird im Kondensator wieder zu Wasser abgekühlt und anschließend in den Kreislauf zurückgepumpt. Die überschüssige Wärme wird über Kühltürme an die Umgebung abgegeben.
Rauchgasreinigung
Die bei der Verbrennung entstehenden Rauchgase enthalten Schadstoffe und müssen gereinigt werden, bevor sie über den Schornstein abgeleitet werden.