Was sind negative Strompreise und warum gibt es sie?
Negative Strompreise entstehen, wenn mehr Strom produziert wird, als Verbraucher*innen und Industrie abnehmen können. Stromnetze müssen aber immer im Gleichgewicht sein – Erzeugung und Verbrauch halten sich im Idealfall exakt die Waage. Gibt es zu viel Angebot und gleichzeitig zu wenig Verbrauch, fällt der Preis an der Strombörse im Extremfall so weit, dass er negativ wird.
Dann gilt: Wer Strom einspeist, muss dafür zahlen, anstatt Geld zu bekommen. Das passiert vor allem in Situationen mit sehr viel Wind- oder Solarstrom bei gleichzeitig schwacher Nachfrage, etwa an sehr sonnigen und windreichen Feiertagen oder nachts. In diesen Fällen kann überschüssiger Strom zwar teilweise ins Ausland exportiert, in inländischen Stromspeichern zwischengelagert oder Kraftwerke gedrosselt werden, allerdings stehen diese Möglichkeiten nicht immer sofort oder nur eingeschränkt zur Verfügung. Lassen sich Stromüberschüsse also nicht zeitnah begrenzen, können negative Strompreise die Folge sein.
Damit haben negative Strompreise eine steuernde Wirkung: Sie schaffen Anreize dafür sowohl die Stromerzeugung als auch die Nachfrage besser an die tatsächliche Stromverfügbarkeit anzupassen.
Warum lassen sich manche Kraftwerke nicht einfach abschalten?
Die naheliegende Frage bei negativen Strompreisen lautet: Wenn das Netz überlastet ist und sich die Erzeugung nicht lohnt, warum fahren manche Kraftwerke ihre Stromproduktion dann nicht herunter? Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Technische Grenzen: Viele Großkraftwerke benötigen eine Mindestleistung, um stabil zu laufen. Ein vollständiges Herunterfahren ist nicht ohne weiteres möglich – und ein Neustart wäre nicht nur teuer und zeitaufwändig, sondern in vielen Fällen auch gar nicht aus eigener Kraft machbar.
- Systemrelevanz: Anlagen, die sogenannte Regelenergie bereitstellen, müssen im Notfall innerhalb von Sekunden reagieren können. Damit ist gemeint, dass sie kurzfristig zusätzliche Leistung ins Stromnetz einspeisen oder ihre Einspeisung drosseln, um Schwankungen auszugleichen und die Netzfrequenz stabil bei 50 Hertz zu halten. Anlagen dieser Art dürfen ihre Einspeisung daher nur auf ein Minimum reduzieren, nicht aber einstellen.
- Vertragliche Verpflichtungen: Insbesondere erneuerbare Erzeugungsanlagen haben Strombezugsverträge über feste Mengen mit Großabnehmer*innen wie Industrieunternehmen abgeschlossen. Aufgrund dieser sogenannten Power Purchase Agreements (PPAs) müssen sie unabhängig vom Börsenpreis liefern.
Kurz gesagt: Negative Strompreise entstehen nicht nur durch die schwankende Einspeisung erneuerbarer Energien. Auch starre Strukturen im Stromsystem und technische Einschränkungen spielen eine Rolle. Sie führen dazu, dass Strom selbst bei negativen Preisen weiter ins Netz eingespeist wird, weil sich viele Erzeugungsanlagen nicht ohne Weiteres drosseln oder kurzfristig abschalten lassen.
Wie oft kommen negative Strompreise vor?
2024 gab es laut Bundesnetzagentur in Deutschland 457 Stunden, in denen der Preis an der Strombörse ins Minus rutschte. Bezogen auf das Gesamtjahr (8.784 Stunden) entspricht das etwa fünf Prozent der Zeit – nicht viel, könnte man meinen. Ein Blick auf die Grafik zeigt aber, dass es seit 2022 häufiger zu negativen Strompreisen kommt. Gab es im Jahr 2022 lediglich 69 Minusstunden, entspricht der Anstieg im Jahr 2024 mehr als 560 Prozent. Diese Steigerung hängt insbesondere mit der 2023 vorangegangenen Energiekrise, der Transformation des Energiesystems in den vergangenen Jahren sowie dem Zuwachs der Erneuerbaren im Energiemix zusammen. Ein Trend, der Experten zufolge anhalten könnte.
Quelle: Bundesnetzagentur (Monitoringberichte 2015-2023, SMARD 2024), eigene Darstellung
Auffällig ist der Zeitpunkt, an dem negative Strompreise zeitweise auftreten: Häufig tagsüber, wenn Photovoltaikanlagen massenhaft Strom einspeisen, die Nachfrage aber niedrig bleibt. Feiertage wie Ostern oder Pfingsten, sonnige Wochenenden im Frühjahr oder windstarke Nächte sind typische Konstellationen.
Die Preisspanne kann stark variieren: Häufig liegt sie nur wenige Cent unter null, in Extremfällen jedoch auch bei mehreren Dutzend Euro pro Megawattstunde (MWh). Am 11. Mai 2025 wurden zwischen 13 und 14 Uhr sogar minus 250,32 Euro je MWh registriert. Das entspricht etwa minus 25 Cent pro Kilowattstunde (kWh).
Wer profitiert von negativen Strompreisen?
Die größten Gewinner sind bislang industrielle Großverbraucher. Sie kaufen ihren Strom meist an der Börse ein und können ihre Produktion gezielt in Zeiten negativer Preise verlagern und sparen dadurch Kosten – oder sie erhalten im Extremfall sogar Geld für den Verbrauch.
Privathaushalte dagegen profitieren nur selten von negativen Strompreisen. Die meisten Stromkunden und -kundinnen haben Festpreistarife, bei denen sie immer den gleichen Grund- sowie Arbeitspreis zahlen – unabhängig davon, wie der Börsenpreis gerade ausfällt. Zudem enthält ihr Strompreis neben den Erzeugungs- oder Beschaffungskosten viele fixe und umlagefinanzierte Bestandteile, die sich bei kurzzeitigen Negativpreisen kaum verändern.
Wer aber einen dynamischen Stromtarif und einen Smart Meter installiert hat – also ein intelligentes Messsystem, das Daten in Echtzeit erfasst und überträgt –, kann durchaus von niedrigen Börsenpreisen profitieren. Denn seit 2025 sind Energieversorger verpflichtet einen solchen Tarif anzubieten. Sollte der Börsenstrompreis so tief in den negativen Bereich fallen, dass Preiskomponenten wie Netznutzungsentgelte, Umlagen, Steuern und Abgaben „überkompensiert“ werden, erhalten Kund*innen für diese Zeiten dann eine Gutschrift in der monatlichen Rechnung.
Gibt es auch im Ausland negative Strompreise?
Ja, Deutschland ist nicht das einzige Land, indem es zu negativen Strompreisen kommt. Auch in anderen europäischen Ländern können die Strompreise zeitweise ins Minus rutschen, etwa in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden. Besonders häufig treten negative Preise jedoch in Deutschland und Dänemark auf. In Schweden und Finnland dagegen sind sie deutlich seltener – dort wurden sie erstmals im Februar 2020 registriert.
Auch außerhalb Europas sind negative Strompreise bekannt: In Kalifornien oder Australien fallen sie regelmäßig an, wenn Photovoltaik- und Windkraftanlagen an sonnigen oder windreichen Tagen mehr Energie einspeisen, als nachgefragt wird. Der Vergleich zeigt: Überall dort, wo ein hoher Anteil erneuerbarer Energien auf ein noch nicht ausreichend flexibles Stromsystem trifft, können die Preise ins Negative fallen.
Ausblick: Werden negative Strompreise in Zukunft zunehmen?
Ob negative Strompreise in Zukunft häufiger auftreten, hängt von mehreren Faktoren ab, die sowohl für eine Zunahme als auch für eine Abnahme sprechen können:
Auf der einen Seite wird der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix weiter zunehmen, was ein Überangebot erzeugen und damit die Zunahme negativer Strompreise begünstigen kann. Auf der anderen Seite können Verbraucher*innen die Wahrscheinlichkeit von Überangeboten reduzieren, wenn sie ihre Nachfrage flexibilisieren und bspw. durch dynamische Tarife oder intelligente Verbrauchssteuerung auf Preissignale reagieren. Die steigende Nutzung von Batteriespeichern, die Überschüsse aufnehmen können, sowie die Verbesserung der Netzinfrastruktur können ebenfalls dazu beitragen, dass negative Strompreise in der Zukunft abnehmen. Sobald das Stromnetz regionale Überschüsse über größere Distanzen transportieren kann, leistet es einen wichtigen Beitrag zum Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage und verhindert so negative Strompreise.
Negative Strompreise sind ein bewusst zugelassener Mechanismus in der Energiewirtschaft: Sie machen sichtbar, wo das Energiesystem noch an seine Grenzen stößt, und setzen ein klares Signal an Erzeuger, Verbraucher und Politik, flexibler zu werden. Deshalb geben negative Strompreise auch einen Hinweis darauf, wie tiefgreifend sich unser Energiesystem wandelt – und wie wichtig es ist, Angebot und Nachfrage künftig noch besser zusammenzubringen.